Entwurf des Bundeshaushaltes 2024 – eine Analyse

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Bundeshaushalt 2024 – eine Analyse

Eine Kommentierung von Johannes Rosenboom zur Haushaltsplanung des Bundes

Entwurf des Bundeshaushaltes 2024 – eine Analyse

Die Streichliste im Bundeshaushalt 2024 im Bereich Digitalisierung ist immens. Was sagen die finanziellen Planungen über die Digitalisierungsbestrebungen der Bundesregierung aus? Der Entwurf des Bundeshaushaltes stimmt bedenklich und sendet ein fatales Signal aus. Eine Analyse der Etat-Planungen im Bereich Digitalisierung bzw. Verwaltungsmodernisierung zeigt, warum hier die Chance auf mehr (digitalen) Fortschritt vertan wird.

Beim Geld hört die Freundschaft auf. Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld? Auch und gerade, wenn es um die Verwendung von Steuergeldern geht, haben die Volksweisheiten Bestand. Durch die vielfältigen, aktuellen Einflussfaktoren (z. B. steigende Zinsbelastungen, Inflation, Klima- und Energiewende, Auswirkungen des russischen Angriffskrieges) besteht ein Zwang zu Einsparungen, der auch in den öffentlichen Haushalten umgesetzt werden muss. Aber sollte der Staat – trotz dieser Herausforderungen – ausgerechnet bei Investitionen für die Zukunft, bei Innovationen, Bildung und der Digitalisierung sparen?

Ein kurzer Rückblick 

Ende November 2021 stellten die drei Regierungsparteien SPD, Die Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag unter dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ der Öffentlichkeit vor. In dem 177 Seiten starken Papier nahm das Thema Digitalisierung großen Raum ein. In meiner damaligen Analyse herrschte ein tendenziell optimistischer Tenor vor. 

Anfang 2022 hatte ich in einer Art Zwischenbilanz die ursprünglichen Digitalisierungsvorhaben des Koalitionsvertrags am damaligen Umsetzungsstand gespiegelt. Mit dem Ergebnis, dass nach der Anfangseuphorie eine gewisse Ernüchterung eingetreten war, was die erreichten Ziele ein Jahr nach dem Start der neuen Bundesregierung anging. 

Jetzt – im Sommer 2023 – also der nächste Zwischenstopp. Der vorläufige Etatentwurf des Bundeshaushaltes für das Jahr 2024 liegt auf dem Tisch. Da es bei Fragen des Geldes bekanntermaßen ernst wird und politische Vorhaben finanziell konkret untermauert werden, lohnt sich ein erneuter Abgleich der diversen Ankündigungen, Projektvorhaben im Bereich der Digitalisierung mit der haushaltärischen (Planungs-)Wirklichkeit.

Allgemeine Bemerkungen

Man muss der Ampel-Koalition zugutehalten, dass sie – wie keine Bundesregierung vor ihr – direkt nach Amtsantritt in die Handlungszwänge globaler und multi-dimensionaler Krisen geraten ist. Das gestaltende Modernisierungsmoment aus dem selbstgewählten Slogan „Mehr Fortschritt wagen“ – und damit auch die Digitalisierungsvorhaben – war damals unter die Räder der Auswirkungen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, die damit einhergehende Energiekrise, eine verfestigte Inflation auf anhaltend hohem Niveau, gestörten globalen Lieferketten u.v.a.m. gekommen. In Kombination mit den weiteren „langen Linien“ globaler Veränderungen wie den Auswirkungen des Klimawandels, der systemischen Rivalität mit China, demografischen Entwicklungen in den westlichen Industriestaaten, weltweit steigende Zinsen, stellen diese Faktoren immense Belastungen auch für die öffentlichen Haushalte in Deutschland dar, den mit einer sparsamen Ausgabenpolitik Rechnung getragen werden muss. Dies spiegelt sich auch in dem Bundesetat 2024 wider.

Durch das veränderte Zinsumfeld steigt der Schuldendienst im Bundeshaushalt (Einzelplan 32) drastisch: von 2022 zu 2023 um 82,4 Prozent auf knapp 30 Milliarden Euro – für 2024 auf wahrscheinlich über 42 Milliarden Euro. Allein der Schuldendienst des Bundes macht damit knapp neun Prozent des gesamten Bundeshaushaltes aus und engt den finanziellen Spielraum für Investitionen ein. Daher kann die Flucht in eine immer höhere Neuverschuldung im Hinblick auf die Belastungen künftiger Generationen nicht der richtige Weg sein. Der Haushaltsplan 2024 sieht daher auch eine Begrenzung der Nettoneuverschuldung des Bundes auf „nur“ noch 17 Milliarden Euro (2023: 45,6 Milliarden). Das derzeit geplante Gesamtvolumen des Bundeshaushaltes 2024 beträgt 445,7 Milliarden und sinkt damit im Vergleich zu dem Etat 2023 um 30,7 Milliarden Euro. Ein deutliches Sparsignal auf der Ausgabenseite des Bundes. 

Alle Bundesressort-Etats müssen Einsparungen leisten – außer dem des Verteidigungsetats, der um 1,7 Milliarden Euro steigt. Selbst diese Steigerung des Budgets des Bundesministeriums der Verteidigung (ohne das 100 Milliarden Sondervermögen) decken gerade einmal die Zusatzkosten, die 2024 durch die anstehenden Tariferhöhungen im öffentlichen Dienst bei der Bundeswehr anfallen werden. 

Die Option, die Einnahmenseite über Steuererhöhungen zu steigern, hat man aus (angebotsorientierten-) politischen Erwägungen, vor allem einer der regierungstragenden Ampel-Parteien, verworfen – zumindest bisher. Auch zu einem signifikanten Abbau von staatlichen (und dabei durchaus auch kontraproduktiven) Subventionen scheint sich die Ampel politisch nicht durchringen zu können (Stichworte u. a. Dienstwagen und Ehegattensplitting).

Auch im Bundeshaushalt 2024 sind gute 90 Prozent des Etats durch gesetzlich festgeschriebene Leistungen bereits „gebunden“ – wie auch schon in Haushalten der Vorgängerregierungen. Hier sind insbesondere finanzielle Zuschüsse des Bundes zur Rentenversicherung, Pensionen und staatliche (Sozial-)Leistungen wie Wohngeld und Bürgergeld zu nennen.

Dann aber jetzt alles auf eine Karte!?

Keine Erhöhung der Einnahmenseite, geringere Neuverschuldung, insgesamt abgesenkter Gesamtetat, Erhöhung der Verteidigungsausgaben, begrenzter Spielraum für Investitionen in Zukunftsthemen und Innovationen. Da könnte man ja denken: Ok, dann setzen wir die wenigen „freien Mittel“ jetzt konzentriert auf die Themen, die uns als Standort und Gesellschaft unstrittig weiterbringen und bei denen es eh einen Reformstau bzw. Nachholbedarf gibt. Über die Ampel-Parteigrenzen hinweg werden hier zuvorderst die Bereiche Bildung, Klimaschutz und Digitalisierung genannt. Gerade die Partei des Bundesfinanzministers ist im damaligen Bundestags-Wahlkampf sehr stark mit Digitalisierungsthemen in Erscheinung getreten und nimmt für sich regelmäßig in Anspruch, im politischen Spektrum die Vertreterin des technologischen Fortschritts und der Innovationsfähigkeit zur Lösung von Herausforderungen zu sein. 

Aber falsch gedacht. Die Analyse der Etat-Planungen im Bereich Digitalisierung bzw. Verwaltungsmodernisierung zeigen unter dem Strich das Gegenteil und widersprechen teilweise sogar den Verlautbarungen aus der Politik und der mit der Digitalisierung befassten Verwaltungsspitze.

Hier ein Auszug aus der Streichliste im Bundeshaushalt 2024 im Bereich Digitalisierung: 

  • Das im Koalitionsvertrag verankerte Digitalbudget ist gar nicht beplant. 
  • Verschiedene Fördermittel und Ressort-Posten beim Bundesministerium der Finanzen (BMF), Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) für Künstliche Intelligenz (KI) sinken – zum Teil deutlich. 
  • Beim Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) sinken die Posten IT, Netzpolitik und moderne Verwaltung deutlich auf nur noch 618 Millionen Euro. 
  • Der BMI-Titel 07 Verwaltungsdigitalisierung wird nahezu komplett gestrichen: von 377 auf 3,3 Millionen Euro. Mittel gibt es nur noch für Bund-ID und Verwaltungsportal. 
  • Digitale Souveränität sinkt von 48 auf 23,7 Millionen Euro. 
  • Die Registermodernisierung sinkt leicht von 83 auf 69,8 Millionen Euro – obwohl es als eines der wichtigsten Projekte der Verwaltungsdigitalisierung vom CIO des Bundes (zu Recht) benannt wurde. 
  • Die Posten „Digitalisierung der Landwirtschaft, Ernährung“ und KI des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sinken. 
  • Die Posten „Digitale Lösungen für den Umweltschutz“ und KI des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz sinken. 
  • Der Posten „Digitalisierung kommunaler Verkehrssysteme“ des BMDV sinkt von 61 auf 47 Millionen Euro. 
  • Der BMWK-Posten „Entwicklung digitaler Technologien“ (bisher u. a. für KI, Quanten-Computing, Digitale Identitäten) sinkt von 169 auf 142 Millionen Euro. 
  • Der Posten „Nachhaltige Infrastrukturen in RZ“ – entfällt (bisher: 3,9 Millionen). Und dies trotz Gesetzgebung zu Nachhaltigkeitsvorgaben und Klimaschutzzielen! 
  • Digitallabore der Bundesministerien wurden bisher zwar nicht aus dem Bundeshaushalt, sondern aus EU-Mitteln finanziert. Diese laufen aber 2024 aus. Hierzu ist keine Anschlussfinanzierung ersichtlich. 
  • Auflösung Sondervermögen „Digitale Infrastruktur“: Die Einnahmen aus Frequenzversteigerungen von 2018/19 haben bisher den Digitalpakt Schule gespeist. Der Pakt 2.0 wurde auf 2025 verschoben. 
  • Es gibt Kürzungen im Bundesministerium für Bildung und Forschung bzgl. Digitale Bildung, Hochschulen und Forschung. Weitere Kürzungen in Titelgruppe 20 „Innovationen durch neue Technologien“ insbesondere bei IT-Sicherheit, KI, IT-Infrastrukturen für KI-Servicecenter und Quantensysteme. 
  • Die Förderung der Games-Industrie wird deutlich gekürzt. 

Diese Liste der Kürzungen bei Digitalisierung und Innovationen ließe sich noch fortsetzen. Fairerweise muss konstatiert werden, dass einige Ausgabeposten in puncto Digitalisierung steigen, wie z. B. die Mittel IT-Konsolidierung Bund leicht auf 131,7 Millionen Euro, das BMF-Projekt der Betriebs- bzw. RZ-Konsolidierung leicht auf 275 Millionen Euro und im BMDV die Mittel für automatisiertes, autonomes, vernetztes Fahren von 67,5 auf 90,5 Millionen Euro.

Unter dem Strich fallen die geplanten Ausgaben für Digitales aber negativ aus und es stehen deutlich weniger Haushaltsmittel zur Verfügung. Unabhängig von den gekürzten „Digitalisierungsposten“ stehen auch insgesamt weniger Investitionsmittel für die Zukunftsgestaltung Deutschlands im Etat-Entwurf.

Gespart werden muss! Es ist ebenso unstrittig, dass die Zeiten des „wir übertünchen die strukturellen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte bei der Digitalisierung und Verwaltungsmodernisierung mit milliardenschweren Programmen durch den Bund“ ein Stück weit vorbei sind. Das sehen sicherlich alle ein: die Bürger:innen, die beteiligten Verwaltungen und Digitalisierungsunternehmen, Fachleute und die Steuerzahlenden sowieso. Auch, dass Geld allein nicht immer die Lösung ist, sondern es bei solchen Transformationen vor allem um den Mut und Willen zur Umsetzung, zur Veränderung, zur Beschleunigung (Stichwort: das neue Deutschland-Tempo) und zur nachhaltigen (digitalen) Prozessgestaltung geht. 

Nur ohne eine auskömmliche und längerfristig stabile, finanzielle Ausstattung geht es eben auch nicht. Zumal die Bundesrepublik einen deutlichen Nachholbedarf hat, was die Digitalisierung des Staatswesens angeht. Nicht zuletzt konkurriert der staatliche Bedarf an Digitalisierungsleistungen in einem von limitierten Umsetzungskapazitäten geprägten Anbietermarkt mit finanziell potenten Nachfragern aus anderen Sektoren.

Begründungen gehen am Ziel vorbei

Interessant sind die „Begründungen“ für die Kürzungen, die in den letzten Wochen flankierend verlautbar wurden. Die Verantwortlichen für die Digitalisierung auf Bundesebene argumentieren, dass bereits viele Projekte erfolgreich initiiert worden seien und daher jetzt weniger Mittel benötigt werden

Das ist zum Teil richtig, siehe z. B. die Registermodernisierung beim Bundesverwaltungsamt. Es ist aber insoweit „falsch“, dass es noch ein langer Weg ist, z. B. das Registerwesen gemäß dem Once Only-Prinzip mit anderen Registern sicher, übergreifend und automatisiert zu verknüpfen. 

Auch beim Thema Onlinezugangsgesetz (OZG) „verabschiedet“ sich die Bundesebene aus der weiteren Umsetzung mit einer ähnlich gelagerten Argumentation. Es seien in den letzten Jahren bereits viele OZG-Leistungen auf Bundesebene erfolgreich umgesetzt worden und damit hätte der Bund seine Ziele erreicht. Auch das ist nur bedingt richtig. Wenn man OZG als dauerhafte, umfassende Ende-zu-Ende-Prozessdigitalisierung der Verwaltung versteht, wo auch Backend-Systeme und Fachverfahren integriert werden müssen, um wirklich durchgängig digitalisierte E-Government-Prozesse zu erreichen, ist auch der Bund von dieser Zielerreichung noch meilenweit entfernt – von den Bundesländern und Kommunen ganz zu schweigen. 

Bei der OZG-Umsetzung Mittel mit der Gießkanne auszuschütten, war in den letzten Jahren zum Anschub der Veränderung richtig und auch erfolgreich. Diese Programme jetzt wieder finanziell ein Stück weit zurückzufahren und die Mittel auf ausgewählte Umsetzungen zu priorisieren, ist ebenso richtig. Aber von dem (vollmundigen) ursprünglichen Ziel der 575 OZG-Services auf dann nur noch 35 EfA-Leistungen (sogenannte OZG-Booster un Beschluss des IT-Planungsrates aus Mai 2022) zurückzugehen und sich jetzt im Haushaltsentwurf für 2024 faktisch finanziell so gut wie ganz zu verabschieden, wird der Kraftanstrengung OZG bzw. Verwaltungsdigitalisierung nicht gerecht. Der OZG-Ansatz muss in den nächsten Jahren weiterentwickelt werden – z. B. eine Unterlegung der Services mit KI-Komponenten bis hin zur Integration in eine intelligente Datenbewirtschaftung, um die volle Wirksamkeit zu erreichen. 

Hinzu kommt, dass der Bund sich bei bisher co-finanzierten Länderprojekten der Digitalisierung finanziell ebenfalls signifikant zurückzieht. Die Verwaltungsdigitalisierung ist ein Dauerlauf, der die Verwaltung noch viele Jahre beschäftigen wird und eine entsprechende finanzielle Ausstattung benötigt wie z. B. Anschlussfinanzierungen zur Planungssicherheit, Weiterentwicklung, dauerhafte Modernisierung und Ausbau in der Fläche.

Bilanz und Ausblick

Der Entwurf des Bundeshaushaltes stimmt bedenklich, was die finanzielle Ausstattung der weiteren Digitalisierungsfortschritte des Staatswesens und der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands angeht. Unverständlich sind dabei auch die Kürzungen bei der überfälligen Digitalisierung der Bildung, ebenso wie bei den aufkommenden Disruptionstechnologien der KI und Large Language Models, bei denen Deutschland im internationalen Vergleich eh schon abgeschlagen ist und die gerade eine „Revolution“ freisetzen. 

Die Notwendigkeit einer umfassenden Digitalisierung ist nicht beliebig aufschiebbar. Ganz im Gegenteil: je länger es dauert, desto teurer wird es. Je zögerlicher die digitale Transformation angegangen wird, desto mehr wird der Staat beim Wettrennen um Standortvorteile, demografische Verknappungen von Kapazitäten, digitaler Souveränität und Lösungskompetenz für sich und seine Bürger:innen ins Hintertreffen geraten. 

Der Bundeshaushalt sendet hier ein fatales Signal aus: Es wird an der falschen Stelle gespart. Es wird die Chance vertan, durch staatliche Investitionen die digitale Rendite zu heben. Mehr (digitalen) Fortschritt wagen … sieht (finanziell) anders aus.