Interview zur Barrierefreiheit

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Interview zur Barrierefreiheit

Die EU-Richtlinie 2019/882 des Europäischen Parlaments über Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (European Accessibility Act) verpflichtet erstmals auch Wirtschaftsakteure zur Barrierefreiheit. Wir beantworten die wichtigsten Fragen, was das für die verschiedenen Akteure bedeutet.

Knut Ludwiczak, Berater für Barrierefreiheit, Geschäftsbereich Public Sector, Materna „Ich habe die Hoffnung, dass künftig das allgemeine Bewusstsein wächst, Barrierefreiheit gerne zu erfüllen und nicht als lästige Pflicht anzusehen. So wird die digitale Teilhabe von Menschen mit Behinderung immer weiter gestärkt. Das Team Materna ist stolz darauf, dabei unterstützen zu dürfen.“ Knut Ludwiczak, Berater für Barrierefreiheit, Geschäftsbereich Public Sector, Materna

Was steckt hinter dem European Accessibility Act?

Der European Accessibility Act ist eine Richtlinie, die den innereuropäischen Handel mit barrierefreien Produkten und Dienstleistungen verbessern soll, indem länderspezifische Vorschriften abgeschafft werden. Die Vorteile für Unternehmen sind zum Beispiel Einsparungen durch gemeinsame Vorschriften für die Barrierefreiheit in allen EU-Ländern, vereinfachter grenzübergreifender Handel und mehr Marktchancen für barrierefreie Produkte und Dienstleistungen. Die Vorteile für Menschen mit Behinderungen, aber auch ältere Menschen, sind beispielsweise ein größeres Angebot an barrierefreien Produkten und Dienstleistungen, weniger Hindernisse beim Zugang zu Verkehrsmitteln, zu Bildung und zum offenen Arbeitsmarkt.

Deutschland hat das Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/882 Mitte Juli 2021 verabschiedet. Es wird als Barrierefreiheitsstärkungsgesetz bezeichnet. Wer ist betroffen und worauf müssen sich die Betroffenen einstellen?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verpflichtet nun auch Privatunternehmen zur Umsetzung der Barrierefreiheit. Bestimmte Produkte und Dienstleistungen müssen zukünftig für Verbraucher:innen barrierefrei sein. Es betrifft aber nur Produkte und Dienstleistungen, die nach dem 28.06.2025 in den Verkehr gebracht werden. Ausgenommen sind auch Kleinstunternehmen, die weniger als zehn Personen beschäftigen und einen Jahresumsatz von höchstens zwei Millionen Euro erzielen bzw. deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens zwei Millionen Euro beläuft.

Vom Barrierefreiheitsstärkungsgesetz sind unter anderem Betreiber bestimmter Webseiten und Webshops oder auch Betreiber von Selbstbedienungsterminals sowie Personenbeförderungsdiensten (Luft, Bus, Schiene und Schiff) betroffen. Auch deren Leistungen müssen zukünftig barrierefrei sein. Das betrifft etwa Websites, Apps, elektronische Tickets und Ticket-Dienste sowie die Informationsübermittlung. Ebenso sind Anbieter von Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr zur Umsetzung der Barrierefreiheit verpflichtet, wie zum Beispiel Anbieter von Bankdienstleistungen.

Betroffene Unternehmen und Einrichtungen sollten frühzeitig die Anforderungen an die Barrierefreiheit beachten. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass auch einige öffentliche Stellen das Thema Barrierefreiheit leider sehr spät für sich „entdeckt“ haben und in Zeitdruck gerieten. Öffentliche Träger haben aktuell den Vorteil, dass es bisher keinen Strafenkatalog für die Nichterfüllung der Barrierefreiheit gibt. Diesen wird es zukünftig jedoch für Privatunternehmen geben. Unternehmen können dann zu Strafzahlungen von bis zu 100.000 Euro verurteilt werden oder das betroffene Produkt bzw. die betroffene Dienstleistung muss gar vom Markt genommen werden.

Insgesamt hat die EU das Thema Barrierefreiheit harmonisiert. Wie weit sind die Mitgliedsstaaten schon fortgeschritten? Gibt es hier Unterschiede?

Es gibt ein großes Gefälle bei der Erfüllung der Barrierefreiheit zwischen den Ländern. So haben sich nordische Länder wie Norwegen, Schweden und Dänemark der Sache schnell und gut angenommen. Andere Länder haben andere Prioritäten und sind längst noch nicht so weit mit der Erfüllung der Barrierefreiheit. Grundsätzlich nimmt die Harmonisierung immer mehr Fahrt auf, wie auch in Deutschland.

Bund und Länder müssen die Zentralstelle für Barrierefreiheit umfassend über den Stand der Barrierefreiheit von Anwendungen informieren. Seit Dezember 2021 müssen Berichte den zuständigen EU-Stellen in Brüssel vorgelegt werden. Wie gut sind die Beteiligten bereits darauf vorbereitet?

Die von uns unterstützten Bundesbehörden und Bundesländer sind aktuell gut aufgestellt. Wir bieten ihnen sowohl die Prüfung von Anwendungen selbst als auch Schulungen sowie eine automatisierte Reporting-Möglichkeit durch unser Tool.

Materna hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren über 750 Webseiten, Apps und Fachanwendungen untersucht. Aus den Untersuchungen resultieren aussagekräftige Prüfberichte inklusive Lösungen für Entwickler:innen zur Beseitigung von Mängeln. Parallel dazu bietet Materna ein Reporting-Tool an, das alle notwendigen Daten aus den Prüfberichten aufbereitet. Die für die EU notwendigen Daten können dann ohne Aufwand direkt an die Überwachungsstelle des Bundes für Barrierefreiheit von Informationstechnik weitergeleitet werden. Solche Reporting-Auswertungen nutzen Behörden aber auch intern für zum Beispiel Landesberichte, um über den Stand der Barrierefreiheit zu informieren.

Spielt das Onlinezugangsgesetz eine Rolle in diesem Zusammenhang?

Das Onlinezugangsgesetz ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig. Es verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, bis Ende 2022 ihre Verwaltungsleistungen digital und damit auch barrierefrei anzubieten, sodass auch Menschen mit Behinderung diese nutzen können. Materna betreut sowohl auf Bundes- als auch Bundesländerebene diverse Kunden bei der Umsetzung barrierefreier digitaler Formulare.

Sie haben Fragen?

Die Anforderungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes und des Onlinezugangsgesetzes sind komplex.
Nutzen Sie unsere kostenfreien Informationsveranstaltungen.
Schreiben Sie dafür einfach an sales@materna.group.

Informationen zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)