Die Zukunft digitaler Geschäftsmodelle

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Die Zukunft digitaler Geschäftsmodelle

Digitalisierung macht neue, interessante Geschäftsmodelle salonfähig. Das ist auch eine Chance für Hersteller von Maschinen und anderen physischen Produkten. Wie Unternehmen sich dabei stufenweise vom reinen Verkauf ihrer Produkte zur Einführung nutzenbasierter Abo-Modelle weiterentwickeln, erläutert unser Beitrag.

Verkaufen Sie noch oder zahlen Ihre Kunden nur den Nutzen Ihrer Produkte?

Spotify, Apple Music, Amazon Music, Netflix, Disney+ und viele mehr – Streaming-Dienste sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Statt das neue Lieblingslied von einem Musikanbieter oder womöglich die ganze CD zu kaufen, wird der gesuchte Song direkt in die eigene Playlist eingebettet und kann jederzeit beliebig oft angehört werden. Gleiches gilt für Filme und Serien, die immer häufiger über einen entsprechenden Dienst gebucht werden, statt eine Blu-ray oder DVD zu erwerben. Digitale Geschäftsmodelle sind nicht neu, doch im Vergleich zu den Zeiten von VHS und Kassettenspielern revolutionär. Entscheidend ist: Hersteller von Produkten können sich die neuen Modelle generell zunutze machen, die im Alltag bereits bekannt und gelernt sind.

Ein einfacher Einstieg für das produzierende Gewerbe in ein digitales Geschäftsmodell ist die vorausschauende Wartung für ihre Maschinen, die sogenannte Predictive Maintenance. Sie sammelt beispielsweise Daten, die als Grundlage der Digitalisierung dienen. Voraussetzung ist eine in den Produkten verbaute Sensorik, die Daten sammelt und für die Analyse und Auswertung bereitstellt. Um die gesammelten Daten im nächsten Schritt zu nutzen und zu visualisieren, können Unternehmen eine technische Plattform aufbauen, die sie dann zusammen mit ihren Produkten verkaufen. Bereits hiermit stehen Hersteller an der Schwelle zu digitalen Geschäftsmodellen.

Schritt für Schritt zum digitalen Geschäftsmodell

Es gibt verschiedene digitale Geschäftsmodelle, die aufeinander aufbauen und sukzessive ausbaubar sind. Dabei unterteilt sich der stufenweise Ausbau in drei Phasen. In allen Phasen bilden Daten die Basis, die phasenweise sukzessive angereichert werden. Die wichtigsten Modelle für jede Phase stellen wir im Folgenden vor.

Digitale Geschäftsmodelle lassen sich in drei Phasen aufsetzen. Die Abbildung zeigt eine Auswahl verschiedener Modelle.

Phase 1 – Geräte vernetzen, Daten sammeln und analysieren

In der ersten Phase geht es darum, schon mit einem geringen Datenbestand ein zusätzliches Angebot zu schaffen und nach und nach weitere Daten zu sammeln. Die wichtigsten Geschäftsmodellarten dafür sind Freemium und Leverage Customer Data.

Das Modell Freemium bietet eine kostenfreie Basisvariante mit begrenztem Funktionsumfang. Bekannte Beispiele dafür sind Dienstleister wie Spotify, LinkedIn oder auch Cloud-Dienste wie Dropbox. Die Premiumversion beinhaltet dann deutlich mehr Leistungen, ist aber kostenpflichtig – etwa in einem monatlichen oder jährlichen Abo. Dieses Modell lässt sich sehr einfach auf Produkthersteller übertragen. Im Connected Car -Umfeld können Anbieter zum Beispiel Sicherheitsfunktionen direkt in ihre Fahrzeuge integrieren, etwa Glatteiswarnungen, Abstandshinweise und Informationen zum Reifendruck. Mehr Komfort bieten kostenpflichtige Premiumfunktionen, die dann beispielsweise freie Parkplätze erkennen oder das Fahrzeug auch per App aufschließen können.

Leverage Customer Data ist ein weiteres Geschäftsmodell in dieser Phase. Hier sammeln Unternehmen Kunden- oder Produktdaten, um sie ihren Zulieferern anzubieten. Insbesondere im B2C-Bereich ist dieses Modell weit verbreitet, zum Beispiel bei Amazon, Payback oder in sozialen Netzwerken wie Facebook und Instagram für personalisierte Werbung.

Leverage Customer Data ist ebenfalls gut auf die fertigende Industrie übertragbar. Ein mögliches Szenario ist, dass nicht nur der Hersteller selbst die gesammelten Daten und die Erkenntnisse daraus nutzt, sondern die Daten auch den Zulieferern einzelner Fertigungsteile zugänglich macht. Auf das Fahrzeugbeispiel angewendet, stattet der Hersteller seine Güter beispielsweise mit einer Mobilfunkanbindung aus, sammelt die Daten an einer zentralen Stelle und zieht Erkenntnisse daraus, etwa über das Abnutzungsverhalten von Reifen oder den Reifendruck im Verhältnis von Zeit und Ladungsgewicht. Diese Informationen sind sowohl für Zulieferer als auch für Hersteller wichtig, um die eigenen Produkte stetig zu verbessern. Hersteller können sich diese Daten vergüten lassen.

Phase 2: Daten nutzen und gewinnbringend einsetzen

Mit den im Rahmen eines Freemium- oder eines Leverage Customer Data-Modells gesammelten Daten betreten Unternehmen die zweite Phase digitaler Geschäftsmodelle. Hersteller können weitere Services für bestehende Produkte entwickeln, sogenannte Add -Ons.

Auch dieses Geschäftsmodell lässt sich auf Produkthersteller übertragen. Bleiben wir dazu wieder beim Beispiel eines Fahrzeugs. Navigationssysteme sind inzwischen standardmäßig in neuen Fahrzeugmodellen integriert. Bei der Routenführung ist es jedoch hilfreich, wenn der Fahrer bzw. die Fahrerin auch auf einen aktuellen Verkehrsservice zugreifen kann. Der Hersteller kann diesen als Add-On ergänzen. In vielen Verträgen ist ein solcher Service bereits für zwei oder drei Jahre ab dem Kaufdatum enthalten. Wer den Service darüber hinaus längerfristig nutzen möchte, muss ihn danach als Add-On dazu kaufen.

Eine weitere Option ist das Cross Selling , bei der Hersteller eine nicht notwendige Zusatzleistung oder ein ergänzendes Produkt anbieten. Der Zusatz ist nicht erforderlich, um das Produkt zu nutzen, erhöht jedoch deutlich den ursprünglichen Verkaufswert. Damit erweitern Unternehmen den Vertriebskanal zu ihren Bestandskund:innen. Unternehmen wie IKEA, Tchibo oder auch Frisöre nutzen Cross Selling. Auch dieses Geschäftsmodell ist auf die industrielle Fertigung übertragbar: Ein Fahrzeughersteller kann mit einer Werkstatt zusammenarbeiten und seinen Kund:innen zusätzlich auch Reifenwechsel und die Lagerung anbieten. Dieser Service informiert den Hersteller, welche verkauften Fahrzeuge beispielsweise im Winter mit wetterfesten Reifen ausgestattet sind.

Mithilfe digitaler Geschäftsmodelle werden mehr und mehr Daten gesammelt und bestehende Daten angereichert. Auswertungen dieser Daten liefern exakte Vorhersagen über die Produktnutzung, die Langlebigkeit einzelner Produktkomponenten, die Reparaturbedürftigkeit von Komponenten, die Kosten über die Wartung und Reparatur von Produkten in einem bestimmten Zeitraum, die langfristige Vermeidung von Ausfällen und vieles mehr. Diese Daten verhelfen zur dritten Phase digitaler Geschäftsmodelle.

Phase 3: Mit Daten vom Produkt- zum Serviceverkauf

In der dritten Phase geht ein Hersteller dazu über, nicht nur das reine Produkt zu verkaufen. Vielmehr geht es um die Erhaltung der Leistungsfähigkeit, die Langlebigkeit seiner Produkte sowie die Services, die an die Produkte geknüpft sind. Gleichzeitig wird die Kundenbindung in dieser Phase gestärkt. Zwei in diesem Umfeld vielfältig anwendbare Geschäftsmodelle sind Guaranteed Availability sowie Lock-In. Beide Modelle bestechen durch nutzenbasierte Preise, wie zum Beispiel Pay per Use, Subscription-Modelle oder auch Performance-based Contracting. Welches Modell am besten angewendet wird, hängt vom individuellen Anwendungsfall ab.

Guaranteed Availability gewährleistet die Verfügbarkeit von Produkten. Kund:innen beziehen keine Wartungs- bzw. Servicepakete, sondern kaufen ausschließlich die Verfügbarkeit bzw. die Leistungsfähigkeit eines Produktes. Die fertigende Industrie wendet dieses Geschäftsmodell bereits vereinzelt an. Beispiele dafür finden sich bei den Industrieunternehmen ABB AG, Thyssen-Krupp oder auch Hilti. Die im Zuge der Digitalisierung erfassten Daten liefern genaue Erkenntnisse über die Laufleistung von Maschinen. Die garantierte Verfügbarkeit stellt sowohl Ersatzteile bereit als auch Wartungs-, Reparatur- und Serviceleistungen. Gekauft wird also nicht mehr die Maschine eines Herstellers, sondern ihre Verfügbarkeit und Leistung.

Auch dies lässt sich auf andere Branchen übertragen. Kehren wir wieder zurück zu dem Beispiel des Fahrzeugherstellers. Der Hersteller gewinnt mithilfe integrierter Sensoren wertvolle Daten etwa zum Getriebe, zu den Reifen und zur im Fahrzeug integrierten Software. Anhand dieser Daten lässt sich die Laufleistung berechnen, voraussagen und einkalkulieren. Kund:innen können also rechtzeitig Wartungsarbeiten vornehmen lassen oder werden über erforderliche Reparaturen und notwendige Serviceleistungen informiert. All dies gewährleistet die Verfügbarkeit des Fahrzeugs.

Logistikunternehmen könnten in die Tourenplanung ihrer Lkw die aus den Daten errechneten Reparatur- und Wartungsarbeiten einarbeiten, ohne Ausfälle zu riskieren. Vorrausschauende Wartung verstärkt die Kundenbindung, denn der Hersteller liefert bereits alle Leistungen aus einer Hand, bietet einen Rund-um-Service und gewährleistet eine reibungslose Laufleistung. Es weiterer großer Vorteil ist, dass Produkte deutlich nachhaltiger eingesetzt werden.

„Es handelt sich bei Geschäftsmodellen wie der Guaranteed Availability um Themen, die sich insbesondere in den nächsten zehn Jahren noch stärker entwickeln und verstärkt zum Einsatz kommen werden. So prognostiziert es zum Beispiel der Gartner Hype Cycle“,

sagt Philipp Kleinmanns, Vice President Business Innovation bei Materna.

„Es geht dabei vor allem darum, dass der Kunde als Person in den Fokus rückt und – mit Blick auf die längere Einsatzmöglichkeit von Maschinen und Nutzfahrzeugen – die Bindung zu den Endkunden und Endkundinnen nicht verloren geht.“

Ein weiteres Digitalisierungsgeschäftsmodell ist Lock-In. Es bindet Kund:innen besonders stark an den Hersteller, weshalb das Modell auch gerne als Zwangsloyalität bezeichnet wird. Bekannt ist dieses Modell durch Unternehmen wie Gillette, Microsoft oder Nestlé. Bei diesem Geschäftsmodell geht es nicht nur darum, dass Kund:innen in den Kauf eines Produktes investieren, sondern auch einen Lern- sowie Zeitaufwand in Kauf nehmen. Das Produkt ist in eine kompatible, aber in sich geschlossene Systemwelt eingebunden. Alternative Produkte eines Wettbewerbers in diese Systemwelt zu integrieren oder zum Wettbewerb zu wechseln, ist kaum oder nur sehr aufwendig möglich.

Eine weitere Digitalisierungsoption ist, dass Hersteller ihre Produkte mit zusätzlichen Komponenten aufrüsten, wie zum Beispiel ergänzende Sensorik. Im Gegenzug binden sich Kund:innen vertraglich für einen bestimmten Zeitraum an den Hersteller. Für dieses Geschäftsmodell sind vor allem drei Komponenten entscheidend: Die Lebensdauer des Produktes muss möglichst lang sein, die Wiederverkaufsmöglichkeiten müssen gering sein und die Summe an ergänzenden Produkten sowie Leistungen ist hoch. Am Beispiel des Fahrzeugherstellers kann das Lock-In-Modell wie folgt aussehen: Der Kauf eines Fahrzeugs enthält gleichzeitig auch Fahrzeugservices, die ausschließlich bei diesem Hersteller möglich sind. Das können zum Beispiel Updates der im Auto verwendeten Software oder spezielle Applikationen sein, die einen besseren Service gewährleisten. Diese Services werden zyklisch und wiederkehrend berechnet. Auch für Ersatzteile, Reifen, Felgen und vieles mehr kann ein Automobilhersteller dieses Geschäftsmodell anwenden.

Gemeinsam mit Kunden Geschäftspotenziale heben

Digitale Geschäftsmodelle sind die Zukunft für Unternehmen – unabhängig von der Branche und der angebotenen Leistung. Die beschriebenen Modelle sind nur eine kleine Auswahl der Möglichkeiten. Wichtig ist, dass Unternehmen ihren individuell passenden Zeitpunkt wählen, um die ersten Schritte in Richtung digitale Zukunft zu gehen. Außerdem leben digitale Geschäftsmodelle vom Direktvertrieb und viele Unternehmen bzw. Hersteller verkaufen ihre Produkte bislang noch nicht im Direktvertrieb. Darüber hinaus müssen geeignete Software-Strukturen und -architekturen, Programme sowie Prozesse aufgebaut werden.

Philipp Kleinmanns erläutert, wie sein Team gemeinsam mit Kunden digitale Geschäftspotenziale hebt:

„Um Geschäftspotenziale für unsere Kunden zu identifizieren, ist es wichtig, dass wir im Vorfeld alle bestehenden Ressourcen kennen, einbeziehen und gemeinsam mit auf den Weg in die digitale Zukunft nehmen. Wir legen den Grundstein dafür in Workshops, bauen auf den darin gesammelten Erkenntnissen auf und erarbeiten einen soliden Zukunftsplan für unsere Kunden.“

In einem aktuellen Projekt entwickelte Materna für Hobart, einen Hersteller von Küchengroßgeräten, eine Lösung, die Statusdaten von Großküchengeräten verarbeitet, die weltweit im Einsatz sind. Dafür werden die Maschinendaten in einer Cloud-Anwendung gespeichert. Die Kund:innen sowie eigene Techniker:innen greifen auf diese Daten über mobile Apps und Web-Anwendungen zu.

In einem weiteren Projekt im Umfeld Connected Car Services geht es darum, Sensordaten von Fahrzeugen zu sammeln, zu vernetzen und auszuwerten. Die Lösung stellt die für die Verkehrssicherheit relevanten Daten aus den Fahrzeugen zur Verfügung. Anonymisierte Echtzeit-Informationen zum Beispiel über Wasser und Glatteis auf der Fahrbahn werden bereitgestellt und Fahrer:innen werden automatisch gewarnt. Weitere Automobilhersteller und auch Karten-Spezialisten sind bereits für den Austausch und das Kombinieren solcher Verkehrsdaten involviert. Dies ist die Grundlage für die weitere Monetarisierung der Daten.