Chatbot-Technologie

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Chatbot-Technologie

Chatbots erleichtern in der Verwaltung die Kommunikation zwischen Bürger*innen und Behörde. Chatbot-Erfahrungen hat die Zentrale- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) bei der Staatsanwaltschaft Köln gesammelt. Markus Hartmann, Oberstaatsanwalt und Leiter der ZAC NRW, erläutert im Interview, wie ein Chatbot dabei helfen kann, Hass-Postings auf Social Media-Plattformen schneller anzuzeigen und strafrechtlich zu verfolgen.

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Chatbot-Technologie

Chatbots sind digitale Helfer, die rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Was zeichnet einen Chatbot aus?

An erster Stellte steht die Usability. Bürgerinnen und Bürger sollten die Strafverfolgungsbehörden auch digital sehr einfach mit ihren Anliegen kontaktieren können. Ein Chatbot übernimmt die Rolle eines digitalen Helfers. Darüber hinaus muss ein Chatbot eingebettet werden in ein Ökosystem aus anderen Kontaktmöglichkeiten, um die Zugangswege zu erweitern. Er darf andere Kontaktwege nicht abblocken. In der Justiz ist das von besonderer Bedeutung mit Blick auf eilige Anliegen, wenn etwa eine Information übermittelt wird, die zu akutem Handeln zwingt, wie zum Beispiel bei einem gerade bevorstehenden Raubüberfall oder Missbrauchsdelikt.

Wie können Bürger*innen aktuell Strafanzeigen im Umfeld der Hasskriminalität aufgeben?

Dafür haben die Polizeibehörden verschiedene Möglichkeiten. Alle Landeskriminalämter unterhalten Online-Wachen. Dort können Bürger digitale Strafanzeigen bei den Polizeibehörden aufgeben und ein Online-Formular ausfüllen, das auch die entsprechenden Belehrungen zur Wahrheitspflicht etc. enthält. Außerdem können sie Postings auch bei verschiedenen NGOs und Projekten melden, die dann ihrerseits mit den Behörden zusammenarbeiten. Die Justiz selbst ist überwiegend noch nicht mit eigenen digitalen Möglichkeiten präsent. Das liegt vor allem am gesetzlichen Rahmen. Wir sind hier in einem komplexen Umfeld.

Was hat zu der Idee geführt, einen Chatbot auch für die Aufgaben der Staatsanwaltschaft zu entwickeln?

Damit uns Anliegen im digitalen Umfeld zeitgerecht erreichen, sollten auch Justiz und Strafverfolgung medienbruchfrei digital erreichbar sein. In der ZAC NRW sind wir zuständig für die Verfolgung herausgehobener Fälle von digitaler Hasskriminalität. In unsere Zuständigkeit fallen zum Beispiel Delikte, bei denen exponierte Personen aus dem demokratischen Leben, Vertreter von religiösen Gemeinschaften, Politiker oder Bürgermeister in sozialen Medien mit Hasskriminalität und Hasspostings angegangen werden. In der Praxis geht ein Bürger, der dies beobachtet und anzeigen möchte, damit nicht zur Polizeidienststelle um die Ecke. Wenn wir dafür auch digitale Anzeigemöglichkeiten bieten, erhöht dies die Effektivität der Strafverfolgung. Wir erhellen das Dunkelfeld und erhalten mehr qualifizierte Anzeigen. Sinn der Entwicklungsarbeit war vor allem, vor diesem Hintergrund das technisch Machbare auf den justiziellen Handlungsrahmen herunterzubrechen und eine konkrete Perspektive zu skizzieren.

Wie funktioniert die Strafverfolgung aktuell bei der ZAC NRW?

ZAC NRW ist zuständig für unterschiedliche Bereiche der digitalen Hasskriminalität bei herausgehobenen Fällen.

Da ist zum einen die Projektzusammenarbeit „Verfolgen statt nur Löschen“. Hier arbeiten wir mit der Landesanstalt für Medien, dem Landeskriminalamt, einigen Polizeidienststellen und vor allem Partnern aus der Medienlandschaft zusammen, also den großen in NRW ansässigen Fernsehanstalten, Sendern und Zeitungen. Hierfür haben wir einen komplett digitalen Anzeigenkanal eingerichtet, über den unsere Medienpartner Anzeigen aufgeben, wenn auf ihren Plattformen Hasspostings strafrechtlich relevanter Natur auftauchen. Wir übernehmen dann diese Sachverhalte und bearbeiten sie weiter mit dem Landeskriminalamt oder örtlichen Polizeidienststellen. Hierfür haben wir die Redakteure beispielsweise geschult, damit sie besser erkennen, welche Postings überhaupt strafrechtlich relevant sein könnten. Postings mögen geschmacklos oder schwer zu ertragen sein, aber eben noch nicht strafbar. Wir sind keine Zensurbehörde. Die Zusammenarbeit mit den Medienunternehmen steigert die Qualität der Anzeigen und macht deren Handhabung für die Medienpartner effektiver.

Darüber hinaus arbeiten wir mit dem Bundesamt für Justiz (BfJ) aus Bonn zusammen. Das BfJ ist die Ordnungsbehörde, die Verstöße nach dem sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz sanktioniert. Wenn dort strafrechtlich relevante Sachverhalte bei diesen Ordnungswidrigkeitenverfahren bekannt werden, bekommen wir diese vom BfJ.

Auch eine dritte Zuständigkeit hat uns das Justizministerium übertragen und sie betrifft die schon angesprochenen Fälle von herausgehobener Hasskriminalität in sozialen Medien, wenn sich der Hass gegen demokratisch exponierte Personen richtet, z. B. Bürgermeister oder Personen, die sich zu politischen Themen geäußert haben.

Wie genau funktioniert der Justiz-Chatbot, der in einem Proof of Concept erprobt wurde?

Über den Chatbot können Nutzer Sachverhalte im Bereich der digitalen Hasskriminalität anzeigen. Nutzer agieren mit dem Chatbot in natürlicher Sprache und schildern die Beobachtungen in natürlicher Sprache. Dazu muss der Nutzer beispielweise nicht sagen: „Ich möchte das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zur Anzeige bringen“, sondern es reicht: „Ich möchte ein Hakenkreuz melden“.

Der Chatbot erkennt anhand der KI-Komponente der Sprachanalyse, um welchen Tatbestand es sich handelt, und greift auf einen detaillierten Katalog von Anforderungen zu, mit denen die Strafverfolgungspraxis arbeitet. Diesen Katalog arbeitet der Chatbot im Dialog mit dem Anzeigenerstatter strukturiert ab und fragt beispielsweise nach der Adresse des Postings und nach weiteren Informationen. Der Chatbot braucht also gute Dialogstrukturen. Im Hintergrund ruft er dann automatisiert Informationen aus dem sozialen Netzwerk ab, um den Sachverhalt möglichst intensiv mit Informationen zu versehen. Ist alles zusammengetragen, präsentiert der Chatbot dem Anzeigenerstatter eine Zusammenfassung des Anzeigensachverhalts und bringt die Strafanzeige auf den Weg.

Bürger*innen können also jederzeit eine Anzeige aufgeben. Welche weiteren Vorteile sehen Sie?

Einer der entscheidenden Vorteile ist die Medienbruchfreiheit. Der Nutzer muss nicht das digitale Umfeld verlassen, um eine Strafanzeige aufzugeben. Er erreicht die Behörde dort, wo auch die Straftaten begangen wurden, nämlich im digitalen Bereich. Im Idealfall sollte der Chatbot über jedes mobile Endgerät erreichbar sein.

Wann können Bürger*innen damit rechnen, ihre Anzeigen über einen Chatbot aufzugeben?

Bislang sind wir auf dem Stand eines Proof of Concept. Es liegt noch viel Arbeit vor uns. Die bisherigen Erfahrungen zeigen aber, dass der Bedarf und das Interesse groß sind. Derzeit laufen die Klärungsprozesse, ob und wie ein Praxiseinsatz aussehen kann.

Wir müssen auf technischer Ebene beispielsweise noch am Design und an der Logik der Gesprächsführung feilen, um den PoC in einen fachlich voll tauglichen Anwendungsfall zu überführen. Sicherlich werden wir auch Testphasen zwischenschalten, etwa mit einem begrenzten Teilnehmerkreis. Ich bin optimistisch, dass wir mit einigen Monaten Entwicklungszeit sowohl technologisch als auch aus fachlicher Sicht in der Lage wären, den Chatbot einzusetzen. Noch zu klären sind außerdem die administrativen Prozesse dahinter.

Lässt sich diese Idee auch auf andere Einsatzbereiche in der Justiz oder andere Verwaltungsbereiche übertragen?

Das Anwendungsfeld lässt sich auf viele weitere Bereiche übertragen. Ich weiß von Szenarien der Zivilgerichtsbarkeit, die sich etwa mit dem Thema der digitalen Rechtsantragsstelle beschäftigen. In allen Fällen geht es darum, herauszuarbeiten, wie Bürger sich über einen Chatbot moderiert an die Justiz wenden können, um einen Antrag einzureichen. Zahlreiche Projekte sind bereits in der Planung oder sogar der Erprobung.

Insgesamt ist der Einsatz eines Chatbots auf viele Behördenbereiche übertragbar, in denen es darum geht, den Dialog mit dem Bürger digital zu gestalten. Sicherlich werden wir auch die Amtsstuben immer brauchen, aber es gibt viele Sachverhalte, in denen die reine Information und schnelle Verfügbarkeit schon sehr wichtig sind. Deswegen glaube ich, dass wir künftig ein Modell sowohl digitaler als auch analoger Kommunikation haben werden.

Was für die Justiz vernünftig ist, kann auch in vielen anderen Verwaltungsbereichen eine ähnliche Akzentuierung gewinnen.

Vielen Dank für das Interview.

Materna hat den Proof of Concept in Zusammenarbeit mit dem Deutschen EDV-Gerichtstag e.V. und der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) entwickelt und umgesetzt. Eingesetzte Technologien sind IBM Watson, AWS Cloud und die Lucom Interaction Platform.